Titelbild zum Artikel «Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren»

Die Grosse Kneipe auf dem Heidelberger Schwabenhaus fasste die insgesamt rund 120 Teilnehmenden der Tagung nicht; allerdings verfügt die Corps Suevia Heidelberg auch über eine grosse Halle, die angrenzt, womit für alle Historiker ein ungetrübter Hörgenuss gewährleistet war. (Foto: Dr. Bernhard Grün)

27.11.2024

«Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren»

Die 84. Studentenhistorikertagung wurde in diesem Jahr gemeinsam durchgeführt mit dem Österreichischen Verein für Studentengeschichte (ÖVfStG) und der Schweizerischen Vereinigung für Studentengeschichte (SVSt). Sie fand vom 10. bis 13. Oktober 2024 in Heidelberg statt.

Text: Dr. Bernhard Grün v/o Blau (Mm! Fd! Sb-D!)
Fotos: Ruth Cadosch 

 

«Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren» – es hätte sich wohl kein besseres Motto für die seit 1924 nunmehr 84. Studentenhistorikertagung finden können als der Titel dieses unvergleichlichen Heidelberg-Schlagers, gedichtet im Jahr 1927 von dem Librettisten Fritz Löhner-Beda, Mitglied der JAV Kadimah Wien und ermordet 1942 im KZ Dachau.

Die Tagung wurde in diesem Jahr gemeinsam durchgeführt mit dem Österreichischen Verein für Studentengeschichte (ÖVfStG) und der Schweizerischen Vereinigung für Studentengeschichte (SVSt) und stand unter der versierten und engagierten Leitung des seit 2009 in dieser Funktion amtierenden Dr. Sebastian Sigler, Alter Herr der Corps Masovia Königsberg zu Potsdam und Guestphalia Halle.

Diesmal bereits am Donnerstagabend versammelten sich die Teilnehmer zum Begrüssungsabend im dichtbesetzten Saal des unterhalb des Heidelberger Schlosses im Barock erbauten Mittermaier-Palais, seit 1822 bis zu seinem Tod bewohnt von dem Heidelberger Rechtsgelehrten und liberalen Paulskirchen-Politiker Karl Joseph Anton Mittermaier, das sich seit 1958 im Besitz der Turnerschaft Ghibellinia befindet. Als Hausherr referierte Oliver Mohr über Leben und Wirken Mittermaiers, nahtlos schloss sich der Vortrag von Helma Brunck über den Präsidenten des Paulskirchenparlaments und Burschenschafter Heinrich von Gagern an.

Foto: Ruth Cadosch.

Am darauffolgenden Vormittag stand die Besichtigung des historischen Studentenkarzers mit seinen humorvollen Wandzeichnungen, welche die meist nur wenige Tage inhaftierten Adepten früherer Studentengenerationen dort hinterliessen, auf dem Programm. Dort zu sein, sich umzuschauen und zu verstehen – ein Schlüsselmoment nicht nur für Studentenhistoriker. Kaum weniger beeindruckend die im vornehmen Stil der Neorenaissance zum 500-jährigen Jubiläum der Ruperto-Carola 1886 umgebaute Alte Aula, dann auch das didaktisch exzellent aufbereitete Universitätsmuseum. Ein Festakt in der heute evangelischen Heilig-Geist-Kirche schloss sich am Nachmittag an. Feierlich gedachten über 100 Studentenhistoriker ihrer Toten – stellvertretend hierfür Klaus Gerstein als langjähriger Leiter des AKSt, Harald Seewann als Forscher zum jüdischen Korporationswesen und Paul Ehinger als einstiger Vorsitzender der Schweizerischen Vereinigung der Studentenhistoriker. Dazu passend und geradezu genial die musikalische Begleitung durch Dr. Harald Pfeiffer, VDSt zu Heidelberg, die zu den Grussworten der Vertreter der verschiedenen Vereinigungen überleitete. Lieder der alten Studenten, allen voran das «Gaudeamus igitur», umrahmten den Festvortrag des Rechtsprofessors und Alten Herrn der Burschenschaft Frankonia, Klaus-Peter Schroeder, der über das «Heidelberger Studentenleben am Vorabend des Ersten Weltkriegs» sprach. Angetan im purpurrot besetzten Talar wechselte der Redner nach seiner Begrüssung zur allgemeinen Erheiterung der buntbemützten Schar effektvoll das Barett seiner Fakultät gegen den dunkelroten Stürmer aus Studententagen.

Am Freitagabend, willkommen geheissen und bewirtet von den Aktiven auf dem Haus der Landsmannschaft Zaringia, berichtete der Leiter des Universitätsarchivs, Dr. Ingo Runde, assistiert von seinem Kollegen Gabriel Meyer, über das Digitalisierungsprojekt von Bildern und Objekten im historischen Studentenlokal «Zum Roten Ochsen», wo die Tagungsteilnehmer zuvor das Mittagessen genossen hatten. Wohl in keiner anderen Universitätsstadt sind Kneiplokale studentischer Verbindungen bis heute derart beliebter Treffpunkt von Korporationsstudenten. So hatte der «Rote Ochse» früher als Kneipe der Gesellschaften der Schweizer und der Hamburger Studenten, deren Landes- oder Stadtfahne bis heute neben den gelb-roten Farben Badens an der Fassade weht, gedient. Ebenso das im Jahr 1802 am Gaisberg erbaute Gasthaus «Zum Riesenstein», 1874 als ältestes Verbindungshaus vom Corps Saxo-Borussia erworben und bis dato baulich nur unwesentlich verändert. Vorträge von Mag. Renate Reimann über die Geschichte der Grazer slawischen Korporation Triglav und Dr. Stefan Greiwe zur Fiktionalisierung Heidelbergs in ausgewählten Studentenroman schlossen sich an. Eine erkleckliche Gruppe Studentenhistoriker harrte noch bis zu später Stunde bei frischem Gerstensafte aus.

Auch der Heidelberger Studentenkarzer wurde natürlich besichtigt. (Foto: Ruth Cadosch)

Am Samstag standen auf dem 1904/05, ebenfalls anstelle eines ehemaligen Ausflugslokals als eines der prächtigsten seiner Art, errichteten Haus des Corps Suevia insgesamt sechs Vorträge auf dem ehrgeizigen Programm: Der Reigen begann morgens um 10 Uhr – nicht jeder Teilnehmer war zu solch früher Stunde bereits wieder präsent – mit Prof. Dr. Martin Dossmann, dem Vorsitzenden des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, über studentische Streitkultur im 19. Jahrhundert am Beispiel Bonns. Es folgte ein launiger Vortrag von Christian Brändli über das Pauk- und Fechtwesen in einzelnen Schweizer Verbindungen, das sich durch verschiedene Besonder- und Eigenheiten gegenüber den Nachbarländern Deutschland und Österreich auszeichnet. Der Alte Herr Sueviae Dr. Dr. Klaus Jünemann-Neven stellte die Ergebnisse seiner Forschungen über die «Heidelberg Conference» von 1949 auf dem Schwabenhaus als Entstehungsort des Zentralrats der Juden in Deutschland vor. Nach der Mittagspause – das gastgebende Corps Suevia lud zu Tisch – sprach der ÖCVer Dr. Gerhard Hartmann über die Verbandsgründungen in Österreich infolge der Machtergreifung 1933 in Deutschland. Ein Vortrag des Zofingers Dr. Christoph Frey über den politischen Karikaturisten im Vormärz Martin Disteli und von dem Grazer Gothen Prof. Reinhold Reimann über den Sänger und Betreiber eines Studentenlokals Karl Mullé schlossen sich an. Trotzdem blieb auch tagsüber auf dem weitläufigen, mit zahlreichen wertvollen Erinnerungsstücken ausgeschmückten Haus mit Gartenterrasse abseits der Vorträge genügend Raum und Zeit für manche willkommene interkorporative Begegnung.

Die Alte Aula befindet sich im historischen Gebäude der Alten Universität. Sie ist der Haupt-Repräsentationsraum der Universität Heidelberg. (Foto: Ruth Cadosch)

Gesellschaftlicher Höhepunkt der Tagung am Abend dann die Festveranstaltung «100 Jahre AKSt» im Grossen Saal des Hauses der Burschenschaft Frankonia. Ein Heidelberger Chor brachte zur Begrüssung mehrere Lieder des Dichters Viktor von Scheffel dar, zur Studentenzeit einst selbst Mitglied Frankonias. Das studentische Liedgut Heidelbergs hatte sich passend dazu Dr. Harald Pfeiffer zum Vortragsthema gemacht, während Dr. Gerhart Berger als Alter Herr Frankonias über seinen Bundesbruder und AKSt-Mitgründer Fritz Ullmer referierte. Ein sich anschliessender heiterer Liederabend gipfelte in der Darbietung einer gereimten «Bierzeitung», bei der ein Heidelberger Franke und bekannter Schauspieler leibhaftig als Hanfried und damit als Gründer der Salana in Jena auftrat. Unter trefflicher Klavierbegleitung Iwan Durrers [v/o Kynos; Anm. d. Red.] und mit Überreichung eines Merianstichs der Stadt Heidelberg an den stets vorausblickenden Tagungsleiter Sebastian Sigler klang der Abend auf dem Frankenhaus feuchtfröhlich aus. Und so mancher stieg als «Fürst von Thoren» noch zu später Stund‘ sogar selbst auf Tisch und Stuhl. Dem Vernehmen nach soll aus diesem Anlass auch ein Raum des Hauses aufgrund lustigen Treibens dort zum «Schweizer Zimmer» ernannt worden sein.

Leider viel zu früh endete die Tagung am Sonntagvormittag mit einer Matinee auf dem Haus des Corps Thuringia, bis 1933 Sitz der farbentragenden und schlagenden jüdischen Verbindung Bavaria im Kartell-Convent. Der Zürcher Zofinger Hans Wälty stellte in einem Werkstattbericht das von ihm vollendete Buchprojekt aus dem Nachlasse Paul Ehingers über das schweizerische Korporationswesen 1941 bis 1950 vor. Nach den innigen Dankesworten Siglers verabschiedeten sich die Teilnehmer schweren Herzens einer nach dem anderen mit dem Trost auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr – dann im trauten Marburg an der Lahn.

Mit Blick auf das Heidelberger Schloss. (Foto: Ruth Cadosch)

Über den Arbeitskreis der Studentenhistoriker (AKSt)

Mit der Universitätsstadt Heidelberg sollte in besonderer Weise der Gründung des Arbeitskreises vor 100 Jahren durch Rechtsanwalt Fritz Ullmer, Burschenschaft Frankonia Heidelberg, und Regierungsrat Georg Schmidgall, Verbindung Normannia Tübingen, gedacht werden. Der AKSt tagte zum ersten Mal am 18. Oktober 1924 in Stuttgart. Damals wie heute sollen die Tagungen mit Vorträgen zu zahlreichen Themen dem Austausch und der Vernetzung der Studentenhistoriker dienen. Von Anfang an setzte sich der Kreis aus Fachhistorikern und interessierten Laien zusammen. Bis heute wird der AKSt ohne jeden vereinsrechtlichen Rahmen verbandsübergreifend und hat in den Jahren seines Bestehens – mit einer mehrjährigen Pause während der Zeit des Nationalsozialismus – einen reichen Schatz an Erkenntnissen und Ergebnissen aus dem Gebiet des Hochschulwesens weit über den engeren Horizont Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zusammengetragen.Erwähnt seien hier nur beispielhaft das nach 1990 wiedererstandene baltische Studententum und das nach 1933 wohl für immer verloren gegangene jüdische Korporationswesen.

Aktuell gefördert wird der AKSt vom Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA), der Gemeinschaft für Deutsche Studentengeschichte (GDS) und der CV-Akademie. Zugleich besteht eine informelle Zusammenarbeit mit den studentengeschichtlichen Vereinigungen der Corps im KSCV und WSC, des Coburger Convents (CC) der Landsmannschaften und Turnerschaften, der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung und dem Steirischen Studentenhistorikerverein (StStV). Die Vorträge der jährlich an wechselndem Ort stattfindenden Tagungen, die jedem Interessierten offenstehen, werden in der eigenen Buchreihe der «Beiträge zur deutschen Studentengeschichte» veröffentlicht.

Text Dr. Bernhard Grün, 1961 in Homburg/Saar geboren, Besuch des Altsprachlichen Gymnasiums in Zweibrücken und Studium der Medizin, Biologie, Chemie und Geschichte an den Universitäten Gießen und Würzburg. Seit seiner Studienzeit gehört er der KDStV Markomannia Würzburg sowie der KDStV Ferdinandea-Prag zu Heidelberg und der AV Suebo-Danubia Ulm an. Autor und Herausgeber studentengeschichtlicher Veröffentlichungen, zuletzt 2024 «Comment-iert! 111 Korporationsstudentische Miniaturen» im Federsee-Verlag.

 

Website Arbeitskreis der Studentenhistoriker AKSt
 

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