Titelbild zum Artikel Frauen im Schweizerischen Studentenverein – 1968 eine Sensation, 2025 eine Normalität

16.11.2025

Frauen im Schweizerischen Studentenverein – 1968 eine Sensation, 2025 eine Normalität

Der Beschluss zur sofortigen Aufnahme von Frauen in den Schweizerischen Studentenverein am 7. September 1968 war das Schlüsselereignis in der Amtszeit des damals amtierenden Zentralpräsidenten (CP) Professor Urs Altermatt v/o Solo. Nachfolgend referiert er als Historiker über den Weg zur Frauenaufnahme im StV und fügt als Zeitzeuge einige interessante und erhellende Erinnerungen hinzu.

Urs Altermatt v/o Solo

 

Dass am StV-Zentralfest 2025 in Sarnen aus aktuellem Anlass (Bundesgerichtsentscheid Zofingia, 2025) für ein Podium ein Zeitzeuge eingeladen wurde, um über ein StV-Ereignis aus dem Jahr 1968 zu berichten, ist höchst selten. Umso mehr freut es mich, dass ich als 83-jähriger Alt-Veteran über das Schlüsselereignis in meinem CP-Jahr im Zentralkomitee berichten darf.

Am 7. September 1968 beschloss die Generalversammlung des Schweizerischen Studentenvereins (Schw. StV) mit einer Statutenänderung, ab sofort die Studentinnen gleichberechtigt zu behandeln und Frauen als vollberechtigte Mitglieder in den nationalen Verein aufzunehmen, und dies – wohlgemerkt! – drei Jahre vor der Einführung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene 1971. Dass sich ausgerechnet die als katholisch-konservativ abgestempelte Kaderschmiede der Christdemokraten schneller an die sich verändernde Welt anpasste als vergleichbare männerbündische Gesellschaften wie die Zürcher Zünfte oder Service Clubs wie Rotary, verwundert und beeindruckt bis heute nicht nur Aussenstehende.

Die Frauen-Aufnahme in einen traditionellen Studentenverein löste 1968 über die Landesgrenzen hinaus ein breites Echo aus. Die Studentinnen-Aufnahme war in den Schweizer Medien aller Sprachen, vor allem in den Zeitungen, ein medialer Hype. Vorher und nachher berichteten Zeitungen nie mehr so viel über den Schw. StV. Eigenartigerweise taucht aber dieses Ereignis in der Geschichtsschreibung der Frauen- und der 68er-Bewegung der Schweiz kaum auf. Die mythisch aufgeladene Jahreszahl 1968 wird gemeinhin mit links und progressiv verbunden. Personen, Gruppierungen und Ereignisse, die nicht in das Rechts-Links-Schema passen, werden einfach übersehen und ignoriert. Dieses Geschichtsbild wird der komplexen Wirklichkeit des Schw. StV nicht gerecht und ist revisionsbedürftig. Es gehört zur Aufgabe des Historikers, auf solche Lücken hinzuweisen. 

Im Anschluss an die Ausführungen von Professor Urs Altermatt v/o Solo fand eine Podiumsdiskussion mit der Gemeinderätin Cornelia Amstutz v/o Cayenne, Mike Bacher v/o Archiv (Moderation), der Zentralpräsidentin Marina Glaninger v/o Ambivalla und Urs Altermatt v/o Solo (v.l.n.r.) statt. (Foto: Nico Jenny v/o Lucerovic)

Im Sturm der Studentenbewegung von 1968

Beginnen wir mit dem sozioökonomischen Kontext. Mit dem Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit erfassten Umbrüche die gesamte schweizerische Gesellschaft, von der Musik, Bildung und Kultur bis zu Wirtschaft, Armee und Kirchen. Ein oft vergessenes Beispiel: Von 1962 bis 1965 fand das Zweite Vatikanische Konzil statt und hatte ein «Aggiornamento» der römisch-katholischen Kirche und ihrer Gläubigen zur Folge. 

Die Jugendbewegung, die im Mai 1968 mit der Studentenrevolte in Paris einen Höhepunkt in Westeuropa erreichte, prägte die Stimmung auch an den höheren Schulen der Schweiz. In der Hochschulpolitik gaben neolinke Organisationen die Agenda vor und attackierten das hierarchisch-autoritäre System mit den Ordinarien als «Mandarinen», zu dessen Schleppenträgern sie die Verbindungen zählten. Eindrücklich war für mich, wie im Sommersemester 1968 an meiner Universität Bern die Verbindungsstudenten mit ihren farbigen Mützen innerhalb weniger Wochen aus den Gängen der Universität verschwanden und ihre bisher stolz getragenen «Farben» in der Öffentlichkeit in den Mappen versteckten, um nicht als rechtsradikal oder gar «faschistoid» beschimpft zu werden.

Die den Historiker interessierende Frage lautet: Warum hinterliess «1968» im katholischen Studentenverein bleibende Spuren und warum nicht ebenso in der vergleichbaren Zofingia? Wie ein Blick auf die kulturkämpferische Gründungsperiode vor und nach der Bundesstaatsgründung von 1848 belegt, wurde der 1841 gegründete Schw. StV zum ersten organisatorischen Kristallisationspunkt für das katholisch-konservative Zeitungs-, Vereins- und Parteiwesen. In seiner langen Geschichte betrachtete sich der Schw. StV stets als Bildungs- und Schulungsverein für die Elite im katholisch-konservativen Milieu und veranstaltete regelmässig weltanschaulich-politische Debatten wie beispielsweise die «Zentraldiskussionen» im 20. Jahrhundert. 1967/68 lautete das Thema zufällig, aber passenderweise: «Unser Land vor der Staatsreform». 

Ursprünglich war der Studentenverein keine farbenstudentische Korporation. Er führte erst 1851 das rot-weiss-grüne Band und 1860 die rote Mütze ein. Dennoch pflegten die meisten StV-Sektionen im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Anlehnung an deutsche Vorbilder ein aufwändiges couleurstudentisches Brauchtum. Es gab aber nie einen gesamtschweizerischen Komment für den Schw. StV mit verbindlichen Regeln. Mit der wirtschaftlichen Not und den sozialen Unruhen im Gefolge der Industrialisierung gewannen um die Jahrhundertwende von 1900 Erneuerungsbewegungen an Boden. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs 1917, übrigens ein Jahr vor dem Landesstreik, führte dieser Erneuerungsgeist zur Gründung der ersten Reformverbindung, der Berchtoldia in Bern. Spätestens seither lässt sich die StV-Geschichte nur verstehen, wenn man dem ständigen Ringen zwischen konservativen und reformerischen Kräften Beachtung schenkt. 

Alt Bundesrätin Doris Leuthard v/o Charis, Ehrenmitglied des Studentenvereins seit 2005, hält die Festrede am Zentralfest 2011 in Sursee.

Drei Etappen auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Frauen im StV

Machen wir einen Zeitsprung. 1959 wurde das Frauenstimmrecht im ersten Anlauf auf Bundesebene von den Schweizer Männern wuchtig abgelehnt, nur die Kantone Waadt, Neuenburg und Genf stimmten dafür. Damals wuchs die Zahl der Studentinnen an den höheren Schulen stetig. Und so erstaunt es nicht, dass die sogenannte Frauenfrage im Schw. StV als Bildungsverein und als universitäre Annexorganisation der katholischen Partei zum Thema wurde. 

Aus der Rückschau gesehen lief der Prozess zur rechtlichen Gleichberechtigung der Frauen im StV in drei Etappen ab. Die erste setzte zu Beginn der 1960er-Jahre ein. Im Zusammenhang mit der geplanten Totalrevision der Zentralstatuten brachten die Tessiner überraschend die Aufnahme der Studentinnen als Thematik zur Sprache. Wie das Zentralkomitee lehnte die Mehrheit der Delegierten, hauptsächlich aus der deutschen Schweiz, den Vorstoss der Tessiner ab, der von den Romands unterstützt wurde. Doch damit lag die Thematik auf dem Tisch und wurde offizialisiert. Dank dem Engagement von Vizepräsident Flavio Cotti v/o Kiki, dem späteren Bundesrat, revidierte das Komitee unter Willy Spieler seine Meinung. Wie mir Cotti erzählte, habe er den ursprünglich ablehnenden und konservativ eingestellten Zentralpräsidenten mit staats- und kulturpolitischen Argumenten überzeugen und «bekehren» können. 

Im mehrsprachigen Schw. StV bildeten nämlich die Tessiner Verbindungen nördlich der Alpen so etwas wie landsmannschaftliche Vereinigungen, an deren Verbindungsleben bereits in den 1950er-Jahren Frauen regelmässig mitwirkten, was vom Zentralkomitee ab Mitte der Fünzigerjahre pragmatisch toleriert wurde. Diese vom Studentenleben geschaffene Faktizität wurde dann in der Totalrevision der Statuten von 1962  vom Gesamtverein erstaunlich sachbezogen akzeptiert und im Geist eines helvetischen Kompromisses eine praktische Lösung gefunden. Für die lateinischen, das heisst die italienisch- und französischsprachigen Verbindungen sollte die Teilnahme von Studentinnen unter dem Status von «Hospitantinnen», also Gästinnen, ermöglicht werden – ohne Stimmrechte und nur mit spezieller Erlaubnis des Zentralkomitees. 

Mit diesem Status kam der Zentralverein den Eigenheiten der Tessiner entgegen und konnte zugleich Erfahrungen mit Frauen im Schw. StV sammeln. Im Januar 1963 machte die Lepontia an der Universität Freiburg als erste italienischsprachige Verbindung von diesem neuen Recht Gebrauch. Die Sektionen in der Romandie, die in der Frage gespalten waren, aber das Tessiner Anliegen aus Solidarität grundsätzlich unterstützt hatten, zögerten und folgten erst Mitte der 1960er-Jahre nach. 

Wie ich aus eigener Erfahrung weiss, gingen damals nicht nur die im sogenannten «Block» organisierten Kommentverbindungen, sondern auch die Mehrheit der andern Deutschschweizer Sektionen mit Verweis auf die couleurstudentischen Bräuche davon aus, dass die Frauenfrage mit dem Hospitantinnen-Status für die Sektionen der lateinischen Schweiz grosszügig und elegant gelöst sei. Obwohl damit die Angelegenheit kurzfristig in den Hintergrund trat, beruhigte sich die Lage nicht, denn die Frauenbewegung machte in Politik und Gesellschaft trotz der krachenden Niederlage in der ersten Frauenstimmrecht-Abstimmung von 1959 Fortschritte. 

Die «Berner Gruppe» als Stosstrupp der Reformen

Im Studentenverein mutierte die Frauenmitgliedschaft von einem Minderheiten- und Sprachenthema zu einem grundsätzlichen Anliegen für die Gleichberechtigung der Frauen. Das zweite holperige Wegstück auf dem Weg zur Aufnahme von Frauen begann. Als 1963/64 an den Zürcher Hochschulen ehemalige StV-Gymnasiasten einen losen Club mit minimalen couleurstudentischen Formen (kein Farbenobligatorium), mit Studentinnen als Hospitantinnen  und  einem vom Zweiten Vatikanischen Konzil  geprägten Programm bildeten, kam es zu einem Tauziehen mit dem Zentralkomitee um die Anerkennung der Statuten. 1966 endete dieses mit einem ablehnenden Bescheid. 

Wie so oft in der Geschichte hatte dieser Negativentscheid eine gegenteilige Wirkung und integrierte das Frauenthema nun voll in den Postulatenkatalog der Reformverbindungen. Diese schlossen sich um die gleiche Zeit unter dem Namen «Berner Gruppe» lose zu einer erweiterten Interessengemeinschaft zusammen und rangen um eine gemeinsame Strategie. Hauptsächlich interessierten sich die Reformer im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils für die konfessionell-religiöse Öffnung gegenüber anderen christlichen Konfessionen; einige Sektionen, hier vor allem erneut die Tessiner, störten sich an der engen Verbindung mit der CVP und votierten für die Äquidistanz zu den demokratischen Parteien. Noch war die Thematik der Gleichberechtigung der Studentinnen im StV nicht vorrangig, denn darüber gingen die Meinungen weit auseinander. Einer der geistigen Väter dieser Berner Gruppe war Peter Hess aus Olten, Mitglied der Gymnasialverbindung Palatia Solodorensis und der Zürcher Reformverbindung Neu-Welfen, Vize-CP 1962/63, Historiker und späterer Auslandredaktor der NZZ. Für junge Solothurner wie mich war er ein wichtiger Mentor, der wegweisenden Einfluss ausübte. Er redete mir zu, für das Amt des Zentralpräsidenten gegen den konservativen «Block» der Kommentverbindungen zu kandidieren. Nur auf diesem Weg würden die Reformen vorankommen 

Frauen im Flaus war am Zentralfest in Sursee 1999 bereits ein vertrauter Anblick. Die Frauen der Welfen trugen gar passende Jupes.

Der verblüffend rasche Durchbruch von 1967/68

Als eigentlicher Take-off für die dritte Etappe erwiesen sich tatsächlich die Komitee-Wahlen vom Spätsommer 1967 an der Generalversammlung in Stans. Die Berchtoldia, als erste Reformverbindung 1967 fünfzigjährig geworden, stellte mich als Kampfkandidaten gegen die Berner Kommentverbindung Burgundia auf. Wir gewannen unerwartet deutlich. Meine Wahl stellte damals ein StV-historisches Ereignis dar: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg siegte ein «Reförmler» gegen den bisher dominanten konservativen Block. Mit dem Schwung des Wahlsiegs im Rücken diskutierte das neue Komitee zunächst den bunten Strauss der Reformthemen und stellte auch das Couleurstudententum als Hülle des Bildungsvereins in Frage. Persönlich wollte ich als erstes Postulat die konfessionell-katholische Enge aufbrechen und die Aufnahme von andern Christen realisieren. Schliesslich kam ich aber zum Schluss, dass die bereits laufende Debatte über die religiös-weltanschauliche Ausrichtung der «StV-Charta» zu einem Treten-an-Ort und kurzfristig zu keinem Resultat führe. Mittlerweile war für mich das Frauen-Thema zu einem Politikum ersten Rangs geworden, insbesondere weil es bei den Romands und den Tessinern rumorte. Sie wollten die Diskriminierung ihrer gut integrierten Hospitantinnen nicht mehr akzeptieren. 

Vor diesem Hintergrund setzte unser Zentralkomitee die Frauenfrage an die erste Stelle und nahm sich vor, dieses Anliegen mit allen Kräften in unserem Vereinsjahr durchzupauken und nicht durch prozedurale Tricks hinausschieben zu lassen. Zwei taktische Züge halfen uns, die Mehrheit der zögernden Deutschschweizer Sektionen zu gewinnen. Zur Abwehr von Rechtsquerelen liessen wir vom angesehenen Freiburger Rechtsprofessor Peter Jäggi (Altherr der Verbindungen AV Fryburgia und AV Berchtoldia) unter Mitwirkung von Prof. Anton Heini und Prof. Bernhard Schnyder sowie – ex officio – vom amtierenden Zentralpräsidenten, einem Historiker, ein Gutachten erstellen, das zum eindeutigen Schluss kam, dass die Frauenaufnahme den Vereinszweck nicht verletze und eine zeitgemässe emanzipatorische Anpassung an die wachsende Zahl von Studentinnen an den höheren Schulen darstelle. Wegen der starken Widerstände aus den Blockverbindungen entschieden wir uns zweitens für eine sanfte föderalistische Lösung, die sich an schweizerische Traditionen anlehnte: Obligatorium für den Zentralverein, fakultativ für die einzelne Verbindung.

Nach hart geführten, teilweise hitzigen Debatten stimmte die ausserordentliche Delegiertenversammlung in Olten am 25. Mai 1968 mit überwältigender Mehrheit und die Generalversammlung am 7. September 1968 in Freiburg mit einer deutlichen Zweidrittel-Mehrheit (443 Ja gegen 132 Nein) der Gleichberechtigung der Frauen im Schw. StV zu. Der Altherrenbund schloss sich dem Zentralkomitee an. 

Seit der Gründung im Jahr 1990 gehören der Gymnasialverbindung (GV) Desertina Frauen und Männer an. (Foto: zVg) 

Gemischtgeschlechtliche Verbindungen als Normalfall

Aus meinen Erinnerungen füge ich einige anekdotische Details an: Wenige konnten sich damals vorstellen, dass die Frauen «Farben» tragen würden. Die neuen Statuten gingen daher davon aus, dass die Frauen anstelle von Mütze und Band ein Abzeichen tragen sollen, dessen Art und Form zu bestimmen den Studentinnen überlassen werden sollte. Zur grossen Überraschung übergingen die Frauen die männlichen Reserven und trugen spontan und stolz Mütze und Band. 

Um eine einwandfreie Abstimmung zu gewährleisten, mussten die Nein-Stimmenden an der GV wie an Landsgemeinden den Saal der Universitätsaula durch eine einzige Türe verlassen und sich als Mitglieder ausweisen. Das Stimmbüro stand absichtlich unter der Aufsicht des Zentralaktuars Beat Ineichen, eines Gegners der Vollaufnahme. 

Ich musste mir an den kommenden Zentralfesten gelegentlich diffamierende Sprüche wie «Totengräber des StV» und sogar «Kommunist» anhören. Alles in allem beruhigte sich die Atmosphäre nach der Abstimmung rasch. Was im Vorfeld der Generalversammlung von den Gegnern als Revolution, ja als Zerstörung des Schw. StV bekämpft worden war, stellt sich nach einem halben Jahrhundert als evolutionäre Entwicklung im Rahmen der Frauenemanzipation dar und ist in der Zwischenzeit für den Gesamtverein zur Normalität geworden. Das Revolutionäre am ganzen Vorgang war das frühe Datum: drei Jahre vor der Annahme des Frauenstimmrechts auf Bundesebene. In den Schweizer Medien war der 7. September 1968 eine Sternstunde für den Schw. StV, weil die Studentinnen-Aufnahme zusammen mit dem progressiven «Freiburger Manifest» zur Hochschulpolitik die Öffentlichkeit erstaunte.

In einer europäischen Perspektive fällt in Bezug auf die Studentengeschichte auf, dass der Studentenverein nicht das heute häufig angewendete Modell von der reinen Damen-Verbindung wählte, sondern von Anfang an gemischte Sektionen von Studentinnen und Studenten als Normalfall vorsah. Laut Angaben des Zentralsekretariats sind im Herbst 2025 von total aktiven 37 Studierenden-Sektionen 20 gemischt, 14 reine Männer- und 3 reine Frauenverbindungen. Von den 1114 aktiven Studierenden machen die Frauen derzeit ein gutes Drittel (35 Prozent) aus – mit steigender Tendenz. Übrigens ein Frauenanteil, der sich mit demjenigen der schweizerischen Parlamente vergleichen lässt.

Die 1999 als erste reine Frauenverbindung gegründete akadmeische Vebindung (AV) Kybelia kurz nach ihrer Aufnahme in den Schw. StV am Zentralfest in Appenzell 2002. (Foto: zVg)

Zunächst langsame, dann rasche Integration der Frauen

Neben den französischsprachigen Sektionen mit Hospitantinnen setzte die Zürcher Verbindung Orion als erste deutschsprachige Sektion die Frauenaufnahme sofort um, noch im gleichen Jahr 1968 die Freiburger Verbindung Goten und die Auslandssektion Helvetia Lovaniensis an der belgischen Universität Löwen. 1972 nahm die rätoromanische Rezia Studentinnen auf, 1976 die Leonina und 1975 die Staufer, alle in Fribourg. In den alten Reformverbindungen brauchte der interne Meinungsbildungsprozess mehr Zeit, weil die «Altherren» einbezogen werden mussten. Die Berchtoldia in Bern, die bei der Vollaufnahme der Frauen im Zentralverein eine führende Rolle gespielt hatte, folgte erst 1975 wegen harten Debatten unter ihren Altherren nach. Ab Mitte der 1980er- und vor allem ab den 1990er-Jahren ist ein starker Schub von gemischten Sektionen zu beobachten. 

Während die Frauen rasch Vorstandsfunktionen in den Verbindungen übernahmen, ging ihr Aufstieg ins Komitee des Zentralvereins schleppend voran. 1971 wurde zwar bereits die erste Frau als Mitglied des Zentralkomitees gewählt, doch folgten ihr bis 1981 lediglich vier Französischsprachige nach.  2007 konnte sich die erste Zentralpräsidentin in den Wahlen durchsetzen.  
Nachzutragen ist, dass an der Generalversammlung von Freiburg 1968 das Zentralkomitee das von ihm erarbeitete «Freiburger Manifest» für die damals brennende Hochschulpolitik im Windschatten der Frauenabstimmung diskussionslos durchbrachte. Das von Neulinken als progressiv gelobte bildungspolitische Manifest war für kurze Zeit die Grundlage für die Strategie des Schw. StV in der Hochschulpolitik (Mitbestimmungsrecht, ETH-Referendum 1969, eigene Fraktionen in Studentenräten von Zürich und Bern, Zusammenarbeit mit dem VSS, sogar ein Jahr Präsidium). Das Manifest legte den Teppich für das «Gesellschaftspolitische Leitbild» von 1971 aus. 

1977 folgte die Aufhebung des Katholizitätsprinzips aus der Kulturkampfzeit des 19. Jahrhunderts. Da der Schw. StV 1967/68 noch mit der Katholikenpartei verbandelt war, können die StV-Beschlüsse durchaus mit Blick auf die schweizerische Parteigeschichte im Kontext der Reformen der 1970 zur CVP umbenannten Katholikenpartei angesehen werden. 

Freilich ist festzuhalten, dass der Reformfrühling im Schw. StV von kurzer Dauer war, denn die Radikalisierung der Linken, insbesondere in den Nachbarländern, hatte zur Folge, dass sich der Verein politisch wieder in die bürgerliche Allianz eingliederte. 

Die Gleichberechtigung der Frauen, die 1968 eine Sensation war, wuchs im Verlaufe der Jahre zur Normalität im Studentenverein heran. In der historischen Rückschau bildet die aussergewöhnlich frühe Frauenaufnahme eine Pionierleistung, die das Bild des Schw. StV irreversibel veränderte und auch in der Geschichtsschreibung über die Frauenbewegung in der Schweiz stärkere Beachtung verdient.  

Es handelt sich hier um den vom Autor leicht überarbeiteten Vortragstext, den Urs Altermatt v/o Solo für den wissenschaftlichen Anlass verfasst und in gekürzter Fassung am Podium vom 22. August 2025 anlässlich des Zentralfestes in Sarnen vorgetragen hat. Altermatt stützte sich neben seinen persönlichen Erinnerungen auf gedruckte Archivquellen, die partiell in der Vereinszeitschrift CIVITAS 1967/68 publiziert und öffentlich zugänglich sind. Er benutzte die beiden grossen, von ihm geleiteten illustrierten Geschichtsbände über die StV-Geschichte seit 1841: «Den Riesenkampf mit dieser Zeit zu wagen...». Schweizerischer Studentenverein 1941–1991, Luzern 1993; «Und keiner geh’ aus unserm Bund verloren». Der Schweizerische Studentenverein im Umbruch 1991–2018, Bern 2019.

 

Ad personam Urs Altermatt v/o Solo, em. Prof. Dr. Dr. h.c. für Zeitgeschichte, seit 1980 an der Universität Freiburg, vorher seit 1973 Dozent an der Universität Bern. Von 2003 bis 2007 Rektor der Universität Freiburg. Starke internationale Präsenz mit Gastprofessuren und Fellowships an ausländischen Universitäten, so in Stanford und Harvard, Krakau, Budapest, Sarajewo, Sofia, Wien, Löwen und Erfurt; als Universitätsrat in Graz, Präsident der Ost-West-Kommission der Pro Helvetia. Mitglied der Berchtoldia, Fryburgia und Wikinger, CP 1967/68.

 

Fotos (wenn nicht anders vermerkt) aus «Und keiner geh’ aus unserm Bund verloren», Altermatt (Hrsg.), 2019.
Fotos im Slider: Morgane Baumgarten v/o Thalassa und Andreas Waser v/o Loop.

Illustration, die zwei Zofinger darstellt. (Bild: zVg)

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