Titelbild zum Artikel Die Schrittmacher

Thomas von Büren v/o Chronos, Mitgründer des Uhrenateliers Velion, hat im Reparieren von Uhren seine grosse Passion gefunden. (Foto: Fabio Zundel)

26.02.2025

Die Schrittmacher

Ein Besuch in Langendorf, wo vor der Quarzkrise einst weltbekannte Uhrenhersteller produzierten. Zwei junge Uhrmacher erwecken Uhren und das Handwerk in der Gegend wieder zum Leben.

Andreas Waser v/o Loop

 

Die Uhren hier ticken nicht anders. Sie ticken vielfältiger. Wohl 15 oder mehr Uhren begrüssen den Besuchenden, lustig durcheinander tickend. Wie viel Raum es doch innerhalb einer Sekunde hat. «Das Faszinierende, gerade an alten Uhren ist, wie viele unterschiedliche Mechaniken und Techniken es gibt», erklärt Thomas von Büren, einer der beiden Inhaber und Gründer von «Velion – Atelier für Uhren» im solothurnischen Langendorf. Thomas ist übrigens StVer, ­Vulgo: Chronos. Logisch, irgendwie (siehe auch Kasten «StV und Handwerk»).

Ich bin mit dem Zug angereist, pünktlich, auf die Minute, und in der Uhrenstadt Solothurn auf den Bus umgestiegen. Während der Fahrt durch die Stadt, über die Aare, hoch nach Langendorf, begegnen sie einem: Die Zeugnisse einer Zeit, als diese Gegend Herz der einst so glänzenden Schweizer Uhrenindustrie war. Seit damals haben diese Patina angesetzt. Oder Rost. Zumindest, was davon überhaupt noch übrig ist. Etwa die ehemalige Uhrenfabrik Roamer. Heute produziert die Firma wieder Uhrwerke in der Schweiz, genauer im Aargau. Hier erinnern nur noch eine Bushaltestelle und die baufällig wirkende ehemalige Fabrikhalle an die einst stolze Zeit. Ich muss an der Haltestelle «Ladedorf» raus. In dem gleichnamigen Einkaufszentrum stellte einst «Lanco» seine weltbekannten Uhren her. 

«Auch das Gebäude, in dem wir uns befinden, war einst mit der Uhrenindustrie verbunden. Da, wo unser Empfang ist, war das Chefkontor eines Zulieferbetriebs für Lanco und andere Uhrenhersteller», erzählt Thomas, zu gleichen Teilen ernst und etwas belustig. Belustigt darüber, dass sie jetzt mit ihrem jungen Unternehmen in den ehemaligen Räumlichkeiten eines Patrons aus alten Zeiten einquartiert sind. Tatsächlich wirkt der Balkon, den ich erst jetzt wahrnehme, geradezu herrschaftlich – mit fantastischem Blick über das Mittelland, der Jura im Norden, die Berner Alpen im Süden. Eine schöne Gegend.

 

«Es ist so ein Glück»

Schön ist aber auch die Geschichte dieses kleinen Unternehmens: Zwei Jungunternehmer, zwei Angestellte. Vier Freunde, eine Leidenschaft. «Es ist so ein Glück, jeden Tag hier mit meinen besten Freunden arbeiten zu können.» Ein Glück ist das kleine Uhrenatelier aber auch für alle, die ihre alten, oft geerbten Uhren, gerne zu neuem Leben erweckt sehen wollen. Thomas von Büren und Valentin Lustenberger, die Gründer und Inhaber, haben die Ausbildung zum Uhrmacher gemeinsam gemacht. Beide zeigten schon in der Ausbildung ihre grosse Begabung und konnten sich später entsprechend bei renommierten Gross- und Kleinuhrenmacherinnen in der Schweiz – Patek Philippe, IWC, Oris, ETA, um nur einige zu nennen – ihre Sporen reichlich abverdienen. Thomas entwickelte sich bei Rebekka Meier in Grenchen zum Spezialisten für Grossuhren. Valentin hat zusätzlich noch eine Ausbildung zum Maschinenbaukonstrukteur gemacht, die er 2022 als Jahrgangsbester mit vielen Auszeichnungen abgeschlossen hat. Als Diplomarbeit konstruierte er ein Uhrwerk für eine moderne und präzise Grossuhr. Thomas: «Diese wollen wir in Zukunft bauen und verkaufen. Die ersten Prototypenteile gibt es schon, aber bis die Uhr zum ersten Mal tickt, können noch Jahre vergehen.»

Auch das jüngste Mitglied im Werkstatt-Team, Uhrmacher Remo Brändle, gehörte zum selben Jahrgang an der Uhrmacherschule in Grenchen. Bei der Firma Huber in Vaduz entwickelt sich der Jahrgangsbeste von damals zum eigentlichen Rolex-Spezialisten. Auch Marketingmanager Fabio Zundel hat die Ausbildung zum Uhrmacher Rhabilleur und kennt die anderen seit der gemeinsamen Lehrzeit. 

Thomas gibt einen Einblick in die Ausbildung damals in Grenchen. «Es war keine klassische Berufslehre in einem Betrieb. Wir hatten sowohl die theoretische wie auch die praktische Ausbildung an der Schule.» Wie Studierende hätten sie keinen Lohn gehabt, dafür 13 Wochen Ferien. Trotzdem sei die Ausbildung sehr stark praxisbezogen gewesen: «Unser Lehrmeister zeigte uns, was zu tun ist, wenn an einem Rad ein Zahn oder ein Zapfen fehlt. Dazu bauten wir ein Modell, für das wir eine Achse anfertigten, ein Rad frästen, es schenkelten, auf die Achse aufpressten, eine Platine dazu bauten, Lager bohrten und den Freilauf des Rades testeten. Sobald alles fertig war und rund lief, brachen wir einen Zapfen von der Achse ab und pressten einen neuen ein, feilten Zähne aus dem Rad heraus, um ein neues Stück Messing einzupassen und neue Zähne von Hand einzufeilen. Wir simulierten sozusagen so ziemlich alle Fehler, die in einer Grossuhr auftreten können, um dann alle diese Fehler zu reparieren. Nach diesem Schema verlief unsere gesamte Ausbildung.»

Thomas von Büren (links) und Miteigentümer Valentin Lustenberger gehörten zu den Jahrgangsbesten an der Uhrmacherschule. Das stellen sie nun tagtäglich unter Beweis. Das stellen sie nun tagtäglich unter Beweis. (Foto: Fabio Zundel)

«Wir wussten sofort: Das reicht nicht»

Zurück in der Gegenwart. Aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit der vier ­Freunde versprühen die Räume des Ateliers auf angenehme Weise einen gewissen Hobbykeller-Charme: Man merkt diesem Ort an: Hier verbringen Leute, die sich gut kennen, viel Zeit. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier eine professionelle und komplett ausgerüstete Uhrenwerkstatt steht. «Irgendwann haben Valentin und ich uns gesagt: Komm, wir machen unsere eigene Werkstatt – und kauften eine alte, kleine Drehbank», berichtet Thomas. «Wir hatten Freude daran. Und doch – beim Anblick dieser einen Maschine wussten wir sofort: Das reicht nicht.» Und dann ging es los: «Bald war der ganze Keller meiner Eltern voll mit unserem Zeug.» Nach und nach wurde alles, aber wirklich alles angeschafft, was man zum Reparieren, Messen, Testen und Zusammenbauen von Uhren braucht. Ein Jahr später zügelten sie das Atelier in die jetzigen Räumlichkeiten. «Sämtliche Geräte hatten wir in gebrauchtem Zustand erhalten. In Nachlässen hier in der Gegend taucht immer wieder etwas auf.»

 

Wahre Schätze aus Nachlässen

Die Werkbänke, Bohrer und Schleifmaschinen erinnern mich an meine Kindheit. Wie Miniatur-Ausstattungen aus der mechanischen Werkstätte meines Grossvaters. Ich frage Thomas, ob denn diese teilweise doch recht alten Geräte ihren Ansprüchen voll genügen. «Klar, manchmal könnte man das Dreifache ausgeben und hätte dann eine Highend-Lösung.» Und nicht ohne Stolz schiebt Thomas nach: «Aber alles hier erfüllt seinen Zweck bestens, und wir haben einige wahre Schätze zusammengetragen.» 

Er zeigt mir seltene Werkzeuge, rund ein Duzend Punzensets, diversere Geräte sowie eine kleine Bibliothek mit längst vergriffenen Raritäten. Voller Feuereifer kann Thomas die Anwendung jedes Werkzeuges, jedes Geräts, samt spezifischer Vor- und Nachteile genau dieses Exemplars darlegen. Nicht ohne leise Sentimentalität stelle ich fest: Hier ist ein Mensch, der seine wahre Leidenschaft entdeckt, verfolgt und zum Beruf gemacht hat. Der Mann hat keine Arbeit, keinen Job. Er folgt seiner ­Berufung.

 

Wert und Schönheit der Mechanik

Und diese Berufung führte ihn nicht in ein unfreiwilliges Trödelmuseum, und er ernährt sich auch nicht von romantischer Nostalgie. Die drei Uhrmacher sind mit Reparaturaufträgen sehr gut ausgelastet, das Geschäftsmodell funktioniert. «Viele Leute erkennen wieder den Wert und irgendwo auch die Schönheit eines mechanischen Uhrwerks», zeigt sich Thomas erfreut. Die Restauration einer Taschenuhr für den Weiterverkauf lohne sich in der Regel nicht. «Aber das Erbstück wieder ticken zu hören, indem das Uhrwerk aufs Neue zum Leben erweckt wird, das ist unserer Kundschaft auch etwas wert.» Das Eruieren des Fehlers, das Tüfteln, das Reparieren, damit die alten Uhren wieder ihre Funktion wieder erfüllen können, genau das ist Antrieb und Leidenschaft für Thomas und seine Freunde. 

Zudem bietet Velion ein Uhrenbaukurs an. Aus verschiedenen Komponenten kann man sich die Uhr (natürlich eine mechanische) individuell zusammenstellen, bis hin zur Zifferblattgestaltung. Thomas: «Am meisten freut die Kundschaft aber, dass sie hierherkommen, Zifferblatt, Zeiger und Gehäuse selbst auswählen können und anschliessend die Uhr samt Werk selber zusammensetzen können − mit unserem Werkzeug und natürlich von uns angeleitet und unterstützt.» 

Ich trage seit der Zeit im Gymi selber keine Uhr mehr. Meine Swatch fand ich damals nicht mehr cool genug. Eine Neue wollte ich mir nicht leisten. Mithilfe eines jugendlichen Selbsttäuschungskniffs gelang es mir zu glauben, dass es irgendwie Statement, Ausdruck und Inszenierung einer angeblichen Nonchalance sei, wenn ich keine Uhr trage. Und so kindisch das war, richtig habe ich die Uhr am Handgelenk nie mehr vermisst – bis zu diesem Moment im Uhrenatelier Velion; umgeben von zig durcheinander tickenden Uhren, fasziniert von filigransten Zähnen und Zäpfen, Rädern und Achsen, Hemmungen und Stellungen, Aufzugsfedern und Unwuchten; beeindruckt von perfekt aufeinander abgestimmten Mechaniken, bereits vor Jahrhunderten ausgedacht und gefertigt und hier in diesen Räumen zu neuem Leben erweckt. Auf einmal spüre ich den Wunsch, selber so ein kleines Stück Mechanik gewordene Geschichte an meinem Handgelenk zu tragen. 

Chronos fand einen eher ungewöhnlichen Weg in den Schw. StV. Dabei ist er da genau so in seinem Element wie beim Reparieren alter Uhren. (Foto: Fabio Zundel)

Der StV, die Renaissance und das Handwerk 

Thomas von Büren v/o Chronos ist Mitglied des Schweizerischen Studentenvereins und Altherr der GV Palatia Solodorensis. Dabei hat er weder eine gymnasiale Mittelschule noch eine Hochschule besucht. In Grenchen hat der die Berufsausbildung zum Uhrmacher-Rhabilleur EFZ absolviert. Mitglied in der Palatia wurde er als Konkneipant. Dieser Werdegang zum Mitglied im Schw. StV ist eher ungewöhnlich. Und doch liegt eine gewisse Richtigkeit darin und vielleicht auch eine Chance für den Verein. Dazu müssen wir aber etwas ausholen – bis zur Renaissance.  

Lange Zeit waren die Klöster und Universitäten Horte des Wissens. Dieses sollte in erster Linie bewahrt und tradieret werden. Im 15. und 16. Jahrhundert legte die Hinwendung zum Praktischen, dem Mechanischen, dem Handwerk wichtige Grundlagen für das Entstehen der modernen Wissenschaften. Tüftler wie Leonardo da Vinci, Galileo Galilei oder Albrecht Dürrer beobachteten die Natur, stellten Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge fest und wagten das praktische Ausprobieren: All dies führte zu echten Neuerungen und Verbesserungen von Gegenständen und Techniken auch für den Alltag – etwa in Form von Uhren, die sichtbar und hörbar für die Menschen in der Stadt, im Dorf und draussen auf dem Feld zu Taktgebern des Lebens und der Wirtschaft wurden. 

Die praktischen Denk- und Arbeitsweisen etablierten sich im weiteren Verlauf bis zum 17. und 18. Jahrhunderts – ausserhalb der damaligen Universitäten, stattdessen in Clubs und «Societäten». Die Verbreitung neuer Beobachtungen, Bemessungen und Berechnungen war dank einer weiteren praktischen Erfindung, der Druckerpresse mit beweglichen Lettern, nun wesentlich schneller und günstiger möglich. Der so sich bildende Wissensaustausch führte zum Entstehen einer Gelehrtenöffentlichkeit, aus der sich die europäische Aufklärungsphilosophie formen sollte. Der Rest ist Geschichte…

Die ersten Studentenverbindungen im deutschsprachigen Raum in ihrem Ringen nach Freiheit und Nationalstaatlichkeit entsprangen letztlich denselben aufklärerischen Wurzeln. Und doch war es ja gerade das «Student sein», wodurch man sich auch vom bäuerlichen Arbeiten und dem zünftisch organisierten Handwerk distinguierte. Die Kluft zwischen der akademischen zur restlichen Welt ist auch heute noch im studentischen Brauchtum spürbar. Durch Sprache, Form und Kleidung hebt und grenzt man sich ab. 

Die zunehmende Akademisierung in ausseruniversitärer Berufsfelder in Technik, Gesundheit, Pädagogik und weiterer führte dazu, dass sich die Mitgliederschaft des Schw. StV in den letzten Jahrzehnten zunehmend diversifiziert hat. Eine wünschenswerte Entwicklung, nicht nur mit Blick auf Themen wie Mitgliederschwund und Überalterung. Unsere CP Glaninger v/o Ambivalla hob jüngst am Neujahrskommers (siehe S. 30 in diesem Heft) genau dies als wichtigen Wert und als Chance des Schw. StV hervor: Denn durch diese interne Vielfalt «erweitern wir unseren Horizont und bereichern uns gegenseitig. Es geht nicht darum, Uniformität zu schaffen, sondern vielmehr darum, gemeinsam zu wachsen und voneinander zu lernen und doch als Einheit agieren zu können.»

Thomas von Büren v/o Chronos ist dafür ein glänzendes Beispiel; und mit seiner begeisternden Art eine Bereicherung für die GV Palatia Solodorensis und den Gesamtverein. Lernen kann man von ihm eine ganze Menge − und zwar nicht bloss über Uhrwerke.

Quarzkrise in der Region Solothurn

In den 1970er- und 1980er-Jahren erschütterte die Quarzkrise die Schweizer Uhrenindustrie. Günstige, hochpräzise elektromechanische Uhren mit Schwingquarz aus Japan und den USA verdrängten mechanische Uhren und führten zu massiven Einbrüchen bei traditionellen Herstellern.
Besonders betroffen war die Region Solothurn, ein Zentrum der Schweizer Uhrenproduktion. Unternehmen wie Eterna, Certina, Lanco oder Roamer mussten Stellen abbauen oder schlossen ganz. In Grenchen verlor rund die Hälfte der Arbeitskräfte ihren Job in der Branche. In der ganzen Schweiz gingen rund 60 Prozent der Stellen in der Uhrenindustrie verloren, die Anzahl Betriebe verringerte sich um fast 40 Prozent. 
Erst durch Innovationen wie die Swatch und den Zusammenschluss grosser Hersteller zur SMH (heute Swatch Group) erholte sich die Branche in den 1980er-Jahren. Heute sind Solothurn und Grenchen wieder bedeutende Standorte für die Uhrenindustrie, insbesondere in der Produktion hochpräziser mechanischer Werke. Das Level an wirtschaftlicher Bedeutung vor der Quarzkrise wird aber wohl nie mehr erreicht werden.
 

Andreas Waser v/o Loop

 

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